Corona, Klimawandel, Kostenschub, Krieg – wir erleben turbulente Jahre mit einer Kaskade schlechter Nachrichten. Wie steht es angesichts dessen um den Nachrichtenjournalismus? Antworten liefert der Digital News Report des Reuters Institute. Die Studie ermöglicht seit 2012 alljährlich internationale Vergleiche. Die aktuelle Version basiert auf der Befragung von 93.895 Onlinern in 46 Ländern in der zweiten Januarhälfte 2023. Es ist die erste Erhebung nach Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine. Den deutschen Part betreut das Hamburger Leibniz-Institut für Medienforschung. Die Teilnehmer werden aus einem Online-Access-Panel rekrutiert, und die Ergebnisse sind repräsentativ für deutsche Internetnutzer ab 18 Jahre.

Teile der Bevölkerung werden nachrichtenmüde und misstrauisch

Die Reichweite von Nachrichten nimmt im Trend leicht ab (Grafik 1) bleibt aber auf hohem Niveau: 89 Prozent lesen, hören oder schauen mehr als einmal pro Woche Nachrichten. Stark gesunken ist aber in den letzten drei Jahren der Anteil derer, die den Nachrichten ein ausgeprägtes Interesse entgegenbringen. 52 Prozent bekunden hohes Interesse an Nachrichten – das sind fünf Punkte weniger als im Jahr zuvor und 19 Punkte weniger als im Jahr 2020. Das allgemeine Medienvertrauen  war im Zuge der Pandemie 2021 auf 53 Prozent gestiegen, liegt nun aber nur noch bei 43 Prozent. Das ist der tiefste gemessene Wert seit Beginn der Studienreihe.

Zugenommen hat das Phänomen der Nachrichtenvermeidung. Jeder Zehnte gibt an, oftmals aktiv die Nachrichten zu umgehen, 65 Prozent tun dies zumindest gelegentlich. Manche blättern, zappen oder scrollen zumindest gelegentlich weiter, sobald Nachrichten auftauchen (31 Prozent), andere meiden bestimmte Themen (29 Prozent). Letztere umgehen zu 45 Prozent News über den Ukrainekrieg. Jeweils 36 Prozent versuchen, Nachrichten über Unterhaltung und Prominente, Gesundheit (z. B. Covid-19) und Sport aus dem Weg zu gehen. In anderen westlichen Ländern zeigen sich ähnliche Tendenzen.

Führende Nachrichtenquellen stehen unter Druck

Anlass zur Reflexion gibt die Studie vor allem den Akteuren der meistgenutzten Nachrichtenquellen. Das sind zum einen Macher des linearen Fernsehens, zum anderen Journalisten, die im Internet publizieren, sei es für klassische Medien, sei es für Digital-Only-Anbieter. Das Internet hat mit 63 Prozent bei der Nutzung leicht die Oberhand. TV führt mit 43 Prozent der Nennungen, wenn es um das subjektive Bekenntnis zur Hauptnachrichtenquelle geht (Grafik 2). In der jungen Generation verschieben sich die Relationen erwartungsgemäß zugunsten des Internets und der sozialen Medien.

Da ARD und ZDF nach Ansicht prominenter Insider massiv unter Reformdruck stehen, ermittelte die aktuelle Befragungswelle, welche Bedeutung die Bevölkerung ihnen beimisst. Das Ergebnis: Nur 47 Prozent geben an, die Öffentlich-Rechtlichen seien für sie persönlich eher wichtig oder sehr wichtig. Dabei zeigt sich eine tiefe Generationskluft: Während 62 Prozent im Alter ab 55 Jahre den öffentlich-rechtlichen Nachrichtenmedien eine gewisse oder eine hohe persönliche Relevanz beimessen, ist dies bei nur 37 Prozent der Jüngeren der Fall.

Kleiner Rückschlag für Paid Content

Zeitungs- und Zeitschriftenverlage stehen ebenfalls unter Druck: Sie müssen in der digitalen Transformation neue Erlösquellen erschließen und sind dabei auf freiwillige Nutzerbeiträge angewiesen. In dieser Hinsicht gibt es angesichts der hohen Inflation einen Rückschlag. Nach 14 Prozent im Vorjahr geben jetzt 11 Prozent an, für digitale Nachrichten Geld ausgegeben zu haben. Immerhin sind es noch zwei Punkte mehr als 2021, und der mittelfristige Aufwärtstrend Trend ist ungebrochen. Eine fortlaufende Zahlung in Form des Abos bzw. der Mitgliedschaft ist das am häufigsten gewählte Modell. Befragte, die auf diese Weise für Online-Nachrichten zahlen, geben als Hauptgründe dafür an, dass sie mit dem Geld guten Journalismus unterstützen wollen oder verweisen auf ein gutes Angebot bzw. Probeabo.

Fazit: Die politische Lage birgt Herausforderungen für Nachrichtenjournalisten

Das alte Journalisten-Credo „Only Bad News Is Good News“ besagt, dass die Aufmerksamkeit des Publikums am besten mit Negativmeldungen gewonnen wird. Die Formel hat einen wahren Kern, der sich evolutionspsychologisch erklären lässt. Doch kann eine Häufung von Negativberichten eben auch abstumpfen. Eine diffizile Herausforderung für den Nachrichtenjournalismus der nahen Zukunft wird ein verbreitetes Unbehagen an der Politik sein. Nur ein Fünftel der Bundesbürger ist laut Infratest Dimap im Sommer 2023 mit der Regierung zufrieden.

Dr. Uwe Sander
Dr. Uwe Sander
Der gelernte Volkswirt arbeitete nach einigen Jahren in der empirischen Wirtschaftsforschung von 1984 bis 2014 in verschiedenen Funktionen beim Verlag Gruner+Jahr, u.a. für die Titel Capital, Stern, GEO und Art. Heute ist er freiberuflich als Autor und Berater tätig. Sein besonderes Interesse gilt der Entwicklung des digitalen Journalismus.